Hanne Darboven

                           im Hause J.J. Darboven, Pinkertweg 13, D - 22113 Hamburg

"Die Endkonsequenz meiner Arbeit wird die Musik sein. Die totale Abstraktion der Kunst, das ist die Musik.-Immer gewesen und wird sie mit mir weiter sein." (Hanne Darboven) (1)

 

Die Frage, warum Hanne Darboven trotz ihrer musikalischen Begabung und Ausbildung im Fach Klavier und trotz ihrer Affinität zur Musik keine Pianistin geworden ist, beantwortet ihre Mutter Kirsten Darboven in einem Interview wie folgt:" Hanne wollte schaffend sein." (2) Da es Darboven nicht genügen sollte zur reinen Interpretin zu werden, kam sie erst später - ca. ab 1980 mit der Arbeit an dem Werk zur ,Wende 80'  (3) - als Komponistin zur Form der Musik zurück. 1991 bezeichnete sie die Musik schließlich als Endkonsequenz ihrer Arbeit und nannte sie die totale Abstraktion der Kunst.(4) Dies ist insofern bezeichnend, als dass Darboven ihre Kompositionen nicht losgelöst von ihrem bisherigen künstlerischen Schaffen anfertigte, sondern vielmehr als letzte Stufe der Übersetzung. So entwickelte sie Wege, den von ihr dargestellten Kosmos zusammenzufassen und schließlich über Bild und Sprache sowie Linien und Zahlen in Musik münden zu lassen. Am Ende umfasst ihr musikalisches OEvre über 61 Opera, die bis heute regelmäßig aufgeführt werden und von denen bereits zahlreiche Einspielungen und Livemitschnitte vorliegen.(5)

Die sogenannte Endkonsequenz und die damit verbundene letzte Stufe der Transkription, ihres Werkes in Musik, beruht auf einer komplexen Herleitung mathematischer Regeln, die dem unbedingten Drang nach einer asketischen Ordnung zu folgen scheinen. Spätestens durch Darbovens Zahlenpartituren verbindet man mit ihrem musikalischen Schaffen den Begriff der mathematischen Musik, den sie auch selbst verwendete:"Ich schreibe mathematische Prosa, ich schreibe mathematische Musik." (6) Dabei handelt es sich allerdings um eine mathematische Musik, die auf numerischen Konzepten beruht (7) und die sich von der herkömmlichen Mathematik abhebt:"Es fasziniert mich, so wenig ich auch von Mathematik weiß. Fühle keine Verantwortung gegenüber der sogenannten Mathematik, in meiner Weise, wie ich sie mir wünsche und finde es großartig -. Eben, dass Zahlen existieren, man sie benutzen kann, zeichnen kann damit." (8)

Bei der Umsetzung handelt es sich zunächst um Kompositionen, die auf Quersummenberechnungen des Jahrhunderts beruhen (wie z.B. bei Op. 1 - 6 für Orgel oder den Vierjahreszeiten, Op.7 für Orgel). In späteren Schaffensphasen liegen dann zunehmend Zahlenkonstruktionen, die sich aus der Zerlegung der Zahlen 1 bis 99 ergeben, zugrunde - so auch bei einem der meist aufgeführten Werke Darbovens, dem Streichquartett, Op. 26. (9)

Die Dekodierung Darbovens Notenschrift entspricht einer modernen Neumenkunde:

Weder Tonhöhe noch Tondauer sind in herkömmlicher Weise zu lesen. Daher beginnt die Komponistin 1979/80 mit dem Musiker Friedrich Stoppa zusammenzuarbeiten, der ihre Werke in herkömmliche Notation übersetzt und Musikern in einfacher Form zugänglich macht.(10) Er selbst ist es auch, der 1981 die erste Einspielung von Op. 1 - 6 für Orgel durchführt.(11) Nach Stoppas Ableben verpflichtet Darboven den Musikwissenschaftler Wolfgang Marx, der sich der späteren Opera, bis Op. 61 annimmt (12) und die entsprechenden Werke, mit strenger Konzentration auf den Originaltext der Komponistin, in Partituren für große Orchesterbesetzung übersetzt.(13)

Darboven nummeriert die Notenlinien und Zwischenräume eines herkömmlichen Notensystems von 0 - 9, in zweifacher Form: von unten nach oben sowie von oben nach unten. So erreicht sie im ersten Schritt die Möglichkeit einer Variation zur Grundform und es entsteht die A und B Form. Eine zweite Variante ist durch die Wahl gegeben, die Noten melodisch oder akkordisch auszuspielen( C und D Form). (14)

Die Komponistin wählt bewusst eine undramatische und klare Klangsprache:"Sie [die Musik]  ist hörbar aber nicht benutzbar. Meine asketischen Zahlenkonstruktionen und meine musikalische Produktion, [...] ist für jeden Politiker unbrauchbar." (15) Ein besonderes Merkmal ihrer Kompositionen ist zudem die Verwendung verschiedener Intermezzi, die ihre Werke ergänzen. So z.B. das Volkslied ´ Stille Nacht, heilige Nacht`sowie John Lennons `Give peace a chance`in Op. 1 - 6; das Volkslied `Der Mond ist aufgegangen`in `Vierjahreszeiten`, Op. 7; Edith Piafs ´Non je ne regrette rien`in ´24 Gesänge` Op.14a oder Johann Sebastian Bachs BWV 565, `Toccata et Fuga`d-Moll im Requiem für Orgel, Op. 19 - 22.

Der Begriff `Requiem`ist nicht nur ein zentraler Begriff in Darbovens Schaffen. Das `Requiem` bzw. die `Ruhe`ist der Schlusspunkt der sogenannten Endkonsequenz ihrer Arbeit. Die Komponistin beschreibt es wie folgt:"Der Überbegriff dessen nach größter Arbeit bedeutet ´Requiem`und das heißt [...], ´Ruhe`. Und ich würde sagen, nach der Unruhe, inklusive Krieg und Tod und Faschismus, ist Ruhe höchstes Anliegen, was Du praktizieren kannst."(16)

 

Florentine Gallwas, Hanne Darboven Stiftung, Hamburg

 

1 Vergl. Hanne Darboven im Porträt von Walter Smerling, WDR Porträt, 1991.

2 Vergl. Kirsten Darboven im Porträt von Walter Smerling, a.a.O..

3 Vergl. Eva Keller, ´Symphonie<<Fin de Siècle - Op.27>>, 1989/90` in: Hanne Darboven, Kunsthalle Basel, 1991, S.6.

4 Vergl. Hanne Darboven im Porträt von Walter Smerling, a.a.O..

5 Archiv, Hanne Darboven Stiftung, 2014.

6 Vergl. Hanne Darboven zit. nach Ingrid Burgbacher-Krupka, Hanne Darboven. The Sculpting of Time, Cantz Ostfildern, 1994, S.47.

7 Evelyn Weiss, Hanne Darboven - XII Bienal de Sao Paulo 1973, República Federal de Alemanha, 1973, o.S. .

8 Hanne Darboven, ´Brief vom 09.06.1967`, in: Briefe aus New York 1966 -68 an zu Hause, Cantz Ostfildern, ca 1997, o.S..

9 Nachzuvollziehen bei: Gerd de Vries: ´Werkverzeichnis`, in: Ingrid Buschmann, Gerd de Vries, Gabriele Knapstein (Hgg.): Katalog zum Konzert mit Kompositionen von Hanne Darboven in der Reihe "Musikwerke Bildender Künstler" am 28. April 1999 in Berlin und am 4. Mai 1999 in Bonn, Berlin, 1999, S. 57-63.

10 Vergl. Gerd de Vries, Sibylle Omlin, ´Hanne Darboven: Meine Arbeit endet in der Musik`, in: Hanne Darboven, Hommage an Picasso, Deutsche Guggenheim Berlin, Cantz Ostfildern, 2006, S.58.

11 Siehe Einspielungen, Archiv Hanne Darboven Stiftung, 2014.

12 Archiv, Hanne Darboven Stiftung, 2014.

13 Vergl. Gerd de Vries, Sibylle Omlin, ´Hanne Darboven: Meine Arbeit endet in der Musik`, in: Hanne Darboven, Hommage an Picasso, Deutsche Guggenheim Berlin, Cantz Ostfildern, 2006, S.59.

14 Ebd., S.57.

15 Vergl. Hanne Darboven im Porträt von Walter Smerling, a.a.O.

16 Ebd.

 

 

     Auswahl aus Requiem, Opus 19 - 22, 1971 -2002

Filzstift und Kugelschreiber auf Notenpapier,  Offset Copyright Hanne Darboven Stiftung, Hamburg

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